Die Bedeutung von Cradle-to-Cradle in der Immobilienbewertung
Im Vorfeld des Heuer Dialogs "Future Real Estate: Cradle to Cradle - Die zirkuläre Zukunft", der am 23. Mai 2019 in Düsseldorf stattfindet, hat greenIMMO mit Dr. Christoph von Carlowitz, Geschäftsführer der GLS ImmoWert GmbH, über die Bedeutung von Cradle-to-Cradle (C2C) in der Immobilienbewertung gesprochen. Detaillierte Einblicke in das von der GLS ImmoWert GmbH entwickelte Bewertungsverfahren "nWert" wird Dr. von Carlowitz am Veranstaltungstag persönlich geben.
greenIMMO: Herr Dr. von Carlowitz, was sind für die GLS ImmoWert GmbH ökologische Merkmale, die den Wert einer Immobilie beeinflussen und woran macht Ihr Institut diese fest?
Dr. Christoph von Carlowitz: In erster Linie steht für uns der Mensch im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Wir Menschen verbringen den größten Teil unserer Lebenszeit in der gebauten Umwelt. Wir wohnen, arbeiten, spielen, lernen in Immobilien; wir wachsen darin auf, wollen gesund werden oder versorgt und beschützt sein. Aber unsere Immobilien stehen auch für Ressourcen- und Energieverbrauch, Flächenversiegelung, Emissionen oder Abfallaufkommen. Dabei besteht ein enger Kontext zu der jeweiligen Nutzung. Mit dem Blick darauf wollen wir unsere ökologischen Lebensgrundlagen bewahren und zukunftsweisend entwickeln. Wir sehen uns mit dem von uns dazu entwickelten Bewertungsverfahren „nWert“ in Bezug auf ökologische Merkmale vier Kriteriengruppen an: Materialien, Energie- und Wasserverbrauch sowie den Bezug zum lokalen Naturraum. Zu jeder Kriteriengruppe werten wir eine Reihe von Indikatoren aus
in Bezug auf Energieverbrauch bspw. die Informationen aus dem Energieausweis, Energiebedarfs- und Energieverbrauchs-kennwerte, technische Systeme, Wärmeverlustkennwerte durch Fenster, Wände und Decken, den Einsatz von regenerativen Energien, eigene/lokale Stromerzeugung, etc. Dabei unterscheiden wir etwas nach den jeweiligen Immobilientypen, d. h. je nach Nutzungsart haben wir darauf angepasste Indikatoren identifiziert und gewichten diese auch jeweils etwas unterschiedlich.
Welche Werte machen eine Immobilie zukunftsfähig?
greenIMMO: In Deutschland gibt es bereits seit Jahren diverse Nachhaltigkeitszertifikate für Immobilien (z. B. LEED, BREEAM, DGNB, NahWo). Die Festlegung eines allgemeinen Nachhaltigkeitsverständnisses ist dennoch schwierig, da jedes Siegel eigene Ansätze verfolgt und Kriterien definiert. In welchem Kontext sehen Sie hier das Prinzip Cradle-to-Cradle?
Dr. Christoph von Carlowitz: Zunächst stellt unsere Immobilienbewertung mit "nWert" keine Zertifizierung à la DGNB & Co. dar. Uns geht es darum, Immobilien im Sinne der tripple bottom line für Finanzierungen zu bewerten. Das Prinzip Cradle-to-Cradle ist hierbei ein Aspekt, aber nicht der allein zentrale Punkt. Unsere Frage ist, welchen Wert – oder vielleicht besser: welche Werte eine Immobilie hat. Die Festlegung eines allgemeingültigen Nachhaltigkeitsverständnisses ist aus meiner Sicht weder möglich noch sinnvoll. Die Betrachtung muss im sachlichen und zeitlichen Kontext stehen, ist also in vielerlei Hinsicht variabel und sollte zweckdienlich und zukunftsweisend sein.
greenIMMO: Lassen Sie uns konkret werden. Die Drittverwendungsfähigkeit einer Immobilie ist mittlerweile Bestandteil von Wertermittlungsverfahren. Wie sieht es mit der Wiederverwendbarkeit der verbauten Materialien aus?
Dr. Christoph von Carlowitz: Zunächst sind für mich schon die Drittverwendungsfähigkeit einer Immobilie kein zentraler Aspekt der Immobilienbewertung, sondern ein sekundäres ökonomisches Kriterium, das wir als eine gewisse Sicherheit interpretieren, sollte der eigentliche Nutzzweck einer Immobilie entfallen. Die Wiederverwendbarkeit von Materialen stellt für sich betrachtet auch nicht unbedingt einen Wert dar; auch ein sehr giftiges Bauteil könnte zunächst eine Wiederverwendung finden und irgendwann doch die Umwelt belasten. Mit "nWert" sehen wir uns in diesem Zusammenhang die Kriteriengruppe „Materialien“ an. Wir differenzieren dabei die Herstellung (bspw. von Hölzern) und die Nutzung an. Dabei bewerten wir das Gefährdungspotential durch schadstoffhaltige Materialien (bspw. bei Farben, Klebern, Kältemitteln, Bitumen oder Teppichen). Wir bewerten aber auch die „graue“ Energie (für die Herstellung und den Transport von Baustoffen, weil z. B. in einem Wandaufbau mit Blockbohlen, Zellulosedämmplatten und Nadelholzverkleidung nur ein Drittel der Energie verbaut wird wie für eine Massivwand mit EPS und Putz. Schließlich bewerten wir die Rückbau- und Recyclingfähigkeit.
CO²-Steuer als Instrument
greenIMMO: Wie ließe sich C2C für die Immobilienbewertung greifbar machen?
Dr. Christoph von Carlowitz: Wir machen mit "nWert" C2C mittels Indikatoren aus der Herstellung, der Nutzung und dem Lebenszyklus der Baustoffe greifbar, indem wir dazu Indikatoren erfassen, für die spezifische Immobilie bewerten und die Bewertungen gewichten. Die so bewerteten und gewichteten Kriterien fließen somit quantitativ in unsere Immobilienbewertung ein.
greenIMMO: Kommen wir zuletzt zum Faktor CO². Bisher lag der Fokus beim Klimaschutz im Gebäudesektor vor allem auf der Energieeffizienz. Nach den Ergebnissen der UN-Klimakonferenz in Kattowitz Ende 2018 rücken CO²-Emissionen stärker in den Vordergrund, insbesondere was deren Messbarkeit betrifft, wodurch die Effektivität der eingesetzten Energie zur Strom- und Wärmeerzeugung wiederum eine Rolle spielt. Das Prinzip Cradle-to-Cradle setzt ebenfalls auf Öko-Effektivität und zwar im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Könnte die eventuelle Einführung einer CO²-Steuer dazu beitragen, dass die Immobilien- und Finanzbranche ein einheitliches Regelwerk aufstellt, welches die Zukunftsfähigkeit von Immobilien klar definiert?
Dr. Christoph von Carlowitz: Das glaube ich nicht. Ich bin aber auch kein Freund von Steuern. Diese können ein Incentive setzen, aber ein ökologisches Problem sicher nicht lösen. Hinzu kommen die Herausforderungen, wie die erhobenen Mittel verwendet und die Mehrbelastungen für die Verbraucher wieder ausgeglichen werden sollen. Auch wenn wir Steuern als Instrument benutzen wollen, brauchen wir ein CO²-Emissionsziel, das wir damit erreichen möchten. Wenn wir ein Ziel definieren, dann sind aus meiner Sicht Grenzwerte zielsicherer und einfacher als Steuern. Ich glaube auch nicht, dass wir in der Finanzbranche ein einheitliches Regelwerk aufstellen werden oder sollten. Einheitliche Regelwerke sind für mich Monokulturen und das Gegenteil von Diversität. Diversität aber machen Systeme stabil, Monokulturen potenzieren unsere unvermeidlichen Fehlerchen zu großen Problemen.
greenIMMO: Herr Dr. von Carlowitz, wir danken Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
Das Prinzip Cradle-To-Cradle verständlich erklärt
Zur Einstimmung auf den Heuer Dialog "Future Real Estate: Cradle to Cradle - Die zirkuläre Zukunft" am 23. Mai 2019 in Düsseldorf empfehlen wir im Vorfeld die Lektüre folgender Bücher:
In dem 240 Seiten umfassenden Taschenbuch "Cradle To Cradle - Einfach intelligent produzieren" erklären der deutsche Verfahrenstechniker und Chemiker Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough auf anschauliche und unterhaltsame Art das von ihnen entwickelte Cradle-to-cradle-Konzept. Sie gehen davon aus, dass es zukünftig nur noch zwei Arten von Produkten gibt: Verbrauchsgüter, die vollständig biologisch abgebaut werden können, und Gebrauchsgüter, die sich endlos wiederverwerten lassen. Deshalb fordern sie, nicht weniger zu produzieren, sondern verschwenderisch und in technischen und biologischen Kreisläufen. Was das für die Immobilien- und Bauwirtschaft bedeutet? Am 23. Mai 2019 wird das Prof. Braungart in seinem Vortrag im Rahmen der Veranstaltung "Future Real Estate: Cradle to Cradle - Die zirkuläre Zukunft" erläutern. Bestellt werden kann das Buch hier.
Nicht nur kleinen Lesern ist das Bildsachbuch "So ein Mist - Von Müll, Abfall & Co." sehr zu empfehlen. Auch ältere Semester werden ihren Spaß dabei haben, den Bogen vom Kreislauf der Natur - in dem es eigentlich gar keinen Müll gibt - und dem Körpermüll des Menschen samt Klo- und Klopapiergeschichte über Themen wie Lagerung, Trennung, Recycling, Wasser- und Luftverschmutzung bis hin zu Weltraummüll zu verfolgen. Dafür haben die Autorin Melanie Laibl und die Illustratorin Lili Richter witzige Figuren und Szenen gefunden, die zeigen, dass das Prinzip Cradle-to-Cradle uralt und ganz alltäglich ist. Einen Einblick in das schön gestaltete, großformatige 48 Seiten umfassende Buch gibt dieser Videoclip. Bestellt werden kann es hier.
Sind das Ressourcen oder kann das weg?
Obwohl der Gebäudesektor weltweit zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen gehört, steckt das Prinzip Cradle-to-Cradle im Bauwesen noch in den Kinderschuhen. Alleine in Deutschland werden pro Jahr über 500 Millionen Tonnen (!) mineralische Rohstoffe verbaut. Ebenso immens ist der Verbrauch von Baustahl (ca. 5,5 Mio. Tonnen) und Zement (ca. 26,6 Millionen Tonnen). Was kaum jemand ahnt: Zugleich fallen jährlich über 200 Millionen Tonnen Bau- und Materialschutt an, was mehr als der Hälfte des deutschen Abfallaufkommens entspricht.
Plastikbesteck und Ohrenstäbchen zu verbieten, um die Meere vor Plastikmüll zu schützen, ist eine Sache. Eine andere ist die Einführung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Der Heuer Dialog "Future Real Estate: Cradle to Cradle - Die zirkuläre Zukunft" leistet hier Aufklärungsarbeit: Am 23. Mai 2019 findet in Düsseldorf ein hochkarätig besetztes Dialogforum statt, zu dessen Vortragsrednern unter anderem
gehören. Nicht nur theoretische Grundlagen werden erörtert, sondern vor allem praxisnahe Beispiele gezeigt, wie sich ein stoffstrombasiertes Bau- und Immobilienmanagement installieren lässt und welche Prozesse und Partner erforderlich sind, um Gebäude nach dem C2C-Prinzip zu bauen. greenIMMO hat die Freude, die Veranstaltung medial zu begleiten und durch den Tag moderieren zu dürfen. Das genaue Programm sowie eine Anmeldemöglichkeit finden Interessierte auf der Veranstaltungsseite.